Hannes Bajohr

19. Juli – 27. August 2021
Haus Muche
// Einladung //
Hannes Bajohr, geboren 1984 in Berlin, ist Schriftsteller, Philosoph und Literaturwissenschaftler. Er schreibt digitale konzeptuelle Literatur, sowohl allein als auch zusammen mit Gregor Weichbrodt im Textkollektiv 0x0a. Derzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Medienwissenschaft an der Universität Basel, wo er zur Geschichte der Textgenerierung forscht. Letzte literarische Veröffentlichungen: Timidities (Berlin: Readux 2015), Durchschnitt. Roman (Berlin: Frohmann 2015), Monologue (Berlin: Frohmann 2017), Halbzeug. Textverarbeitung (Berlin: Suhrkamp 2018; englische Übersetzung: Blanks. Word Processing, Denver: Counterpath 2021), Poetisch denken, Bd. 1-4 (mit Gregor Weichbrodt, Berlin Frohmann 2020) und Weisheit und Wiederholung (Berlin: 0x0a 2021).




Sie arbeiten zu politischer Philosophie, digitalen Literaturen und der Sprachtheorie des 20. Jahrhunderts. Welche Überschneidungen sind die Interessantesten und was ist Ihnen in Ihren Arbeiten am wichtigsten?
Die Überschneidungen ergeben sich meistens im Nachhinein, aber bei vielen Projekten sind diese Themen gemeinsam da. Ein Beispiel: Sowohl theoretisch aber auch praktisch arbeite ich relativ viel mit und zu sogenannten „großen Sprachmodellen“, also maschinellen KI-Systemen, die Sprache verarbeiten oder sie hervorbringen. Das bekannteste ist GPT-3, das sehr gut Text produzieren kann, von dem man oft nicht merkt, dass er maschinengemacht ist. Das ist ein ganz interessantes Kreuzungsfeld dieser Aspekte – zunächst der Poetik: Wie macht man Literatur, wie muss man sich selbst einbringen oder zurücknehmen, wenn die Maschine etwas schreibt? Welchen Anspruch habe ich auf das Ergebnis? Gleichzeitig ist so ein Sprachmodell ein Spielfeld für verschiedene politische Themen und Überlegungen: Mit welchen Texten wird es trainiert, welche Art von Appropriation oder Enteignung findet da eigentlich statt? Denn große privatwirtschaftliche Firmen kommodifizieren in den Modellen, die vor allem auf Internet-Text trainiert werden, die Sprache der Vielen. Will ich sie benutzen, ohne nachvollziehen zu können, wo sie herkommt? Das wäre so ein politischer Aspekt. Und schließlich ist das Thema hinsichtlich der Sprachphilosophie interessant, denn all diese Modelle funktionieren lediglich dadurch, dass man Korrelationen zwischen Wortnachbarschaften aufruft. Es steckt also gar kein Wissen über die Welt in dieser KI, denn letztendlich ist es ein rein statistisches Modell, das aber so komplex und groß ist, dass es den Anschein hervorrufen kann, tatsächlich eine Intention, ein Wissen oder eine Form von Intelligenz zu haben – es ist Sprache ohne Verweisfunktion. Bei meinen künstlerischen Arbeiten versuche ich immer, diese Fragen im Hinterkopf zu behalten, sehr oft ergeben sich solche Überschneidungen jedoch erst hinterher aus dem Nachdenken darüber.
Wie fühlt es sich an, ein ganzes Kulturerbe zu bewohnen?
Sehr karg. Es ist wirklich reduziert auf das Allerwesentlichste. Ich kenne die Meisterhäuser bereits von Besuchen und es ist schon interessant zu wissen, was hier in der Vergangenheit stattgefunden hat. Zugleich bin ich skeptisch, was Auratisierungen von Orten angeht. In erster Linie ist es ja so, als würde man in einem Museum wohnen. Dadurch ist alle Wohnlichkeit nur eine suspendierte. Ich muss mich vielleicht erst noch einleben, aber im Augenblick kommt mir meine Existenz hier sehr museal vor.
Der Denkmalschutz fordert bestimmte Einschränkungen im Umgang mit dem Gebäude. Besonders, wenn man darin wohnt. Wie empfinden Sie diese Tatsache?
Das ist natürlich völlig verständlich. Es führt aber zu absurden Situation, etwa, dass sich oben im Schlafzimmer drei sehr schöne Wandschränke befinden, die Teil des ursprünglichen Designs waren, die aber jetzt aus konservatorischen Gründen nicht mehr benutzt werden können. Jetzt hänge ich meine Hemden auf einem separaten Gestell auf, das vor dem Schrank steht. Aber klar, das gehört dazu und das macht auch den besonderen Charakter dieser Residenz aus. Ich werde damit schon klarkommen.
Wie unterscheidet sich die touristische Umgebung der Meisterhäuser im Vergleich zu ihrem letzten Wohnort. Wie nehmen Sie die Gäste wahr?
Ganz konkret: Die Leute kommen nah ans Haus und schauen durchs Fenster. Das Erdgeschoss ist ja völlig ebenerdig, man steht ihnen also Auge in Auge gegenüber, so dass sie immer etwas zurückschrecken, wenn sie einen sehen. Auch daran muss ich mich gewöhnen, auch das gehört zum musealen Charakter der Häuser. Es ist eben ein Museum und ich bin Teil des Ausstellungsmobiliars. Gleichzeitig ist mir klar, dass auch eine Art von Austausch stattfindet: Ich darf hier wohnen und arbeiten, aber im Gegenzug performe ich auch den Residenzler. Vor dem Haus steht ja auch so ein Schild in der Art: Achtung, Residenzler, nicht klopfen, die erschrecken sich sonst. Insofern wohne ich nicht nur in einem Museum, sondern auch in einer Art Zoo. Das ist tatsächlich neu für mich.
Was haben sie vor? Was für ein Projekt planen Sie im Meisterhaus durchzuführen? Geben Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit?
Eine Idee war, dass ich mir das Archiv anschaue, das über eine Reihe von Digitalisaten verfügt, die den Betrieb im Bauhaus dokumentieren. Ich schreibe ja so gut wie nie unmittelbar selbst, sondern verarbeite Text, der schon existiert, und benutze dafür oft bestimmte Prozedere aus der Computerlinguistik, etwa statistische Analyse oder nur die Kollokation von Worthäufigkeiten. Und ich habe mir gedacht, dass es auch für das Jahresthema Infrastruktur interessant sein kann, sich mit den Digitalisaten des Archivs auseinander zu setzen, das ja einerseits selbst ein wichtiger Teil der Infrastruktur ist, andererseits auch Überlegungen dazu versammelt. Eine große Herausforderung ist noch die Frage, wie man das Ergebnis dann ausstellt. Aber darüber verschaffe ich mir in den nächsten Wochen Klarheit, am gut von außen sichtbaren Schreibtisch des Meisterhauses.