Interviews mit drei Tandemstipendiat*innen
Caroline Ektander
Welche Motivation steckt hinter Ihrer Bewerbung für das Tandemstipendium?
Bitterfeld dient seit zwei Jahren als Fallstudie für meine praxisbasierte Designforschung zum Thema Toxizität und Methoden der Altlastensanierung an der Bauhaus Universität Weimar. Das Tandemstipendium hat mich dort deswegen natürlich gleich thematisch, geografisch und in der Herangehensweise verortet und eine Möglichkeit geboten, eine Bewerbung zusammen mit Stephan Thierbach einzureichen. Thierbach und ich haben uns 2019 durch die erste Version von Der Schweiß der Erde kennengelernt und seitdem nach Gelegenheiten gesucht, die Arbeit im Kontext Bitterfeld als künstlerische Strategie weiterzuentwickeln.
Wo sehen Sie die Schnittmenge zwischen Ihrer künstlerischen Arbeit und der Wissenschaft in der Erforschung der Veränderungsprozesse?
In meinem Forschungsprojekt Toxic commons – transmediating industrial legacies beschäftige ich mich mit dem Begriff „Altlasten“. Ich versuche, neue Herangehensweisen und Methoden zu konzipieren, die industriellen Rückständen und ihren oft unsichtbaren Zusammenhängen eine verständlichere Form geben. Ich bin der Meinung, dass es heutzutage sehr wichtig ist, postindustrielle Landschaften nicht nur als materielle Hinterlassenschaften zu betrachten, d.h. chemische Rückstände toxischer Industrieproduktionen, die zu bereinigen sind. Sondern, dass es die Aufgabe ist, Methoden eines mehrdimensionalen Denkens zu fördern, um die sozialen und geistigen Spuren nicht zu verlieren. Vielfältige Veränderungen erfordern, dass auch die Beziehungen zwischen Menschen und ihren Umgebungen immer wieder neu verhandelt werden müssen. Die Sanierung postindustrieller Landschaften wird oft sehr naturwissenschaftlich angegangen und in die verschiedenen Disziplinen unterteilt. Die Probleme sind aber wesentlich komplexer und dynamischer, als sich das aus einer Perspektive darstellen lässt. Veränderung ist konstant und die menschlichen Beziehungen zur Umwelt müssen lebendig bleiben und immer wieder neu gestaltet werden, damit eine ganzheitliche Transformation gelingen kann. Meiner Meinung nach kann Kunst genau dafür Räume anbieten, weil sie neue Narrative bereitstellen kann, in der diese Veränderungen formuliert werden können. Übersetzt in die akademische Forschung bzw. die wissenschaftliche Herangehensweise an das Thema „Altlastensanierung“ bedeutet das, wir müssen bestimmte Dimensionen erst einmal benennen, um sie dann gemeinsam und interdisziplinär lösen zu können. Nur das, was spürbar und sichtbar ist, kann als Grundlage einer gemeinsam Transformation dienen.
Was war bisher Ihre spannendste Erfahrung vor Ort?
Das Tandemstipendium hat es für uns ermöglicht, schnell und unkompliziert in einen tieferen Austausch mit Zeitzeug*innen in Bitterfeld-Wolfen zu kommen. Das erlebe ich als extrem bereichernd und das ist genau die soziale Komponente, die meine interdisziplinäre Arbeit ausmacht. Diese Begegnungen sind nicht planbar und lassen sich in keinem Labor wiederholen. Trotzdem sind sie für die Arbeit so wichtig. Die Transformation Bitterfeld-Wolfens wird mit diesen Begegnungen zu einer sehr nuancierten Geschichte und ist zugleich ein Zeugnis der Resilienz seiner Bewohner*innen. Während der Arbeit am Stipendium ist klar geworden, wie viele Veränderungen und Unterbrechungen sowohl Landschaft als auch Bewohner*innen zu verdauen haben.
Wie lässt sich Ihre eigene Arbeit im Kontext des Festivals OSTEN verorten?
Die Methode, mit Erde zu kochen, die wir in unserem Projekt Der Schweiß der Erde anwenden, lässt sich sehr gut in den Kontext eines Festivals setzen, das „Begegnung“ zu seinem Hauptmotiv macht. Genau das wollen wir mit unserem Projekt erreichen und anregen. Während des Kochprozesses, den Stephan Thierbach entwickelt hat, starten wir einen kritischen Diskurs zwischen unterschiedlichen Formen des Wissens und stellen langsam neue Zusammenhänge her, die nicht gleich zu sehen sind. Das Kochen mit Erde ist dabei eine sehr dankbare Methode, weil sie die Leute und ihre Sinne zu sich lockt und für den Austausch öffnet. So können Begegnungen stattfinden, die sonst nicht stattfinden würden.
Antonia Grohmann
Welche Motivation steckt hinter Ihrer Bewerbung für das Tandemstipendium?
Zunächst interessieren mich neue Versuche des Zusammenwirkens der Künste und der Wissenschaften. Angesichts globaler Herausforderungen des gemeinsamen Überlebens auf unserem Planeten, die sich nicht innerhalb der Disziplingrenzen, in denen wir Menschen arbeiten, uns bewegen, haben diese Versuche großes Potential und auch die Verantwortung, neue Strategien zu entwickeln, die Wissen und Lösungsansätze produzieren und verteilen können. Ebenso ist gerade das Landschaftskunstprojekt Goitzsche in Bitterfeld-Wolfen eines der spürbarsten Beispiele dafür, dass die Dichotomie „Natur und Kultur“ oder „natürlich und künstlich“ zunehmend verblasst. Neugierig hat mich daran gemacht, abseits romantischer „Natur“-Vorstellungen zu schauen, welche Potentiale in der Anerkennung und Erfahrung dieses Zustandes stecken, nachdem in Bitterfelds Landschaften zu DDR-Zeiten so viel schneller und grausamer Umweltverschmutzungen entstanden sind und seitdem versucht wird, daraus zu lernen.
Wo sehen Sie die Schnittmenge zwischen Ihrer künstlerischen Arbeit und der Wissenschaft in der Erforschung der Veränderungsprozesse?
Die Grenze zwischen Wissenschaft und künstlerischer Arbeit ist historisch enger verwoben als häufig zunächst gedacht wird. Beides sind Prozesse der Wissensproduktion und Weitergabe. Die Frage ist nur, was alles zu dem Begriff Wissen gezählt wird. Da haben die naturwissenschaftlichen Disziplinen sehr klare Vorgaben, wohingegen die künstlerischen Strategien häufig freier damit umgehen können. Da global aktuell viele Veränderungen sehr schnell vor sich gehen, haben die Künste die Möglichkeit, flexibler darauf zu reagieren und neue Denk- und Erfahrungswelten zu ermöglichen. Außerdem sehe ich meine künstlerische Arbeit auch als Medium, um bestehende Forschungsergebnisse erfahrbar und spürbar zu machen. Dabei geht es oft auch um meine eigenen Lernprozesse und darum diese zu teilen.
Was war bisher Ihre spannendste Erfahrung vor Ort in Dessau am Bauhaus und in Bitterfeld-Wolfen?
Ich würde da ungern priorisieren und eher betonen, wie fließend der Prozess des Herum- und Er-Fahrens ablief. Viel Wissen wurde schon gesammelt in Büchern, sehr viel schlummert aber noch in den Köpfen der Menschen vor Ort und vor allem in den Erfahrungen mit den Menschen. Besonders beeindruckt haben mich aber die Begegnungen mit den Atmosphären der Landschaften. Und ich weiß, dass zahlreiche weitere spannende Begegnungen noch auf mich warten, wie beispielsweise ein Tauchgang in der Goitzsche: Wie sich wohl das Bitterfelder Meer von innen anfühlt?
Wie lässt sich Ihre eigene Arbeit im Kontext des Festivals OSTEN verorten?
Während des Festivals wird meine Arbeit an dem ehemaligen Busbahnhof des Chemieparks an der Zörbiger Straße zu sehen und zu erfahren sein. Es wird vor allem einen klaren Bezug zu den Arbeiten der anderen Tandemstipendiat*innen geben, da diese thematisch ähnlich gearbeitet haben. Außerdem verbinden die Arbeiten des Tandemstipendiums die Themen zum Osten Deutschlands im Allgemeinen nochmal mehr konkret mit dem Veranstaltungsort Bitterfeld-Wolfen und dessen Landschaftsgeschichte.
Stephan Thierbach
Welche Motivation steckt hinter Ihrer Bewerbung für das Tandemstipendium?
Die Ausschreibung und Kooperation zwischen dem Bauhaus Dessau und dem Umweltbundesamt lässt neue Synergien entstehen und ich hoffe sehr, dass sich solche transdisziplinären Denk- und Handlungsräume weiter etablieren. Für mich ist das ja ein Doppel-Tandemstipendium, da ich mich in Zusammenarbeit mit der Forscherin und Kuratorin Caroline Ektander beworben habe. Wir erarbeiten und verweben eine künstlerische und eine naturwissenschaftliche Perspektive auf lokale Böden, deren Geschichte und Protagonist*innen. Das Projekt Der Schweiß der Erde ist eine performative, künstlerische Methode, die schon einmal auf die Rieselfelder im Norden von Berlin-Pankow und das Ruschdahlmoor bei Bremen angewandt wurde. Unter anderem entsteht dabei, in einem gemeinsamen Kochprozess, ein Duftstoff aus Erdboden. Hier vor Ort gehen wir der Frage nach dem biografischen und „toxischen Erbe“ der seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Industrieregion Bitterfeld-Wolfen nach.
Wo sehen Sie die Schnittmenge zwischen Ihrer künstlerischen Arbeit und der Wissenschaft in der Erforschung der Veränderungsprozesse?
Ich gehe immer vom Suchen und vom Nicht-Kennen aus. Wie ist etwas zu dem geworden, was es ist? Mich interessiert die Genese von scheinbaren Selbstverständlichkeiten, aber auch von Dingen, denen ich möglicherweise ein Unbehagen gegenüber empfinde. Wissenschaft, im besten Sinne, funktioniert ähnlich: Etwas noch nicht zu wissen, die Suche, der Zweifel, die Bereitschaft, sich zu irren, etwas Neues dazuzulernen. Damit verbunden ist das Erforschen ein eigener Veränderungsprozess, auch des Suchenden selbst.
Was war bisher Ihre spannendste Erfahrung vor Ort in Dessau am Bauhaus und in Bitterfeld-Wolfen?
Alle Akteur*innen, die ich bisher kennenlernte, haben bei detailliertem Nachfragen und etwas längerem Zuhören eine sehr differenzierte Sicht auf ihre Vergangenheit. Viele erzählten mir von der Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem in ihren Biografien. Recht zum Anfang meiner Zeit machte ich eine kleine, ziellose Tagestour durch Bitterfeld und habe dabei eine recht ambivalente Erfahrung gemacht, die zwischen Härte und Aufgeschlossenheit changierte. Ab ca. 18 Uhr fragte ich verschiedene Menschen auf der Straße nach einer Kneipe. Viele wussten keine mehr oder gingen nicht mehr in Kneipen. „Ne Shishabar gibt’s.“ Ein paar Jugendliche. „Ich könnte für Sie googeln?! Warten Sie mal.“ Wir unterhielten uns eine Weile, unter anderem über die vielen Tattoos von dem einen. Oberkörperfrei. Er war gewiss unter 16. Auf seiner Brust ein riesiger „Stinkefinger“, darüber „DANKE FÜR NICHTS!“. „Hat meine Mutter gestochen“ und zeigte auf die Frau hinten am Fenster. „Ah, hier könnten Sie hin gehen …“ Ich bin sehr gespannt auf das Festival und die vielen Projekte, die Möglichkeiten der Begegnung bieten. Auch unser Projekt arbeitet mit Anwesenheit, von uns als Künstler*innen und von den Teilnehmer*innen, sodass Verbindung und Austausch entstehen kann.
Wie lässt sich Ihre eigene Arbeit im Kontext des Festivals OSTEN verorten?
Neben der recherchebasierten, kognitiven Ebene probiere ich vor allem, sinnliche Zugänge zu meinen Arbeiten zu schaffen. Es ist mir wichtig, dass die Arbeit einladend bis hin zu einnehmend wirkt, dass man sich ihr zu einem gewissen Teil nur schwer entziehen kann und sie damit ins Körperliche vordringt. In einem Großteil der Festivalbeiträge sehe ich einen partizipativen Ansatz. Zudem versammelt das Festival auch viel kollaborative Kunst. Es ist keine invasive Show an einem „coolen“ Ort, sondern regt lokales Verbundensein in einem längerfristigen Rahmen an. Deshalb passt die Verbindung mit der zweimonatigen Residenz am Bauhaus im Vorfeld auch so gut, weil ich darüber wirklich etwas länger vor Ort hier leben kann. Es kommt dazu, dass ich am liebsten und besten im Kooperationsmodus arbeite, wie schon seit vielen Jahren mit dem Bremer Künstler Felix Dreesen und jetzt mit Caroline Ektander.
Wie sieht Bitterfeld in 30 Jahren aus?
Ich würde mich sehr freuen, wenn der Kulturpalast zu einem vergleichbar lebendigen Begegnungsort wird, wie das Mehrgenerationenhaus in Wolfen. Darüber hinaus wäre es spannend, wenn sich so etwas wie eine „Ikonisierung“ Bitterfelds einstellt. Sodass man, ähnlich wie bei „Dessau“ an „Bauhaus“, bei „Bitterfeld“ automatisch an „Umweltsanierung“ denken muss. Die Region Bitterfeld als Beispiel für ein „Heilen Lassen.“ „Heilen“ ohne die Illusion, etwas könne so repariert werden wie vorher, aber trotzdem im Sinne einer aktiven, gelingenden Sanierung der sozialen wie „natürlichen“ Umwelt. Und „Lassen“ im Sinne von „Einfach sein lassen“, so wie es konstruktiv zum Beispiel schon in der Goitzsche-Wildnis passiert. In 30 Jahren, 2052, jährt sich der Club of Rome-Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ zum 100. Mal. Das wäre doch ein guter Zeitpunkt, wenn bis dahin „Bitterfeld“ noch ein zweites Mal zu einem Begriff geworden ist. Dieses Mal aber nicht mehr verbunden mit einer fast 200 Jahre langen Geschichte des industriellen Raubbaus und der Vergiftung der „Natur“. Sondern ein neuer Begriff, der für eine präsente Erinnerungskultur bezüglich der Umweltzerstörung und ein neues, verbindendes Erdbewusstsein steht. Das Festival OSTEN, welches es dann hoffentlich immer noch gibt, wäre ein geeigneter Startpunkt für so eine mögliche Entwicklung. Vielen Dank für Ihr Fragen.