Home is everywhere!
Sommerschule 2010

Der von Martin Wagner 1932 organisierte Wettbewerb "Das wachsende Haus" verstand "Wachsen" als "natürliches Bauen", das in Zeiten des schroffen Wechsels zwischen Krise und Konjunktur eine mögliche Strategie der Anpassung bot. Das Thema hatte einen radikalen Wandel der Wohnungsbaupolitik nach den "goldenen zwanziger Jahren" zum Hintergrund: Der Weltwirtschaftskrise folgte eine Krise der Bauwirtschaft, der Wohnungsbau sank auf ein Drittel dessen herab, was in den zwanziger Jahren noch realisiert werden konnte. Die Wohnungsnot entlud sich am Stadtrand – in Lauben und Gartenhäuschen. Dem Wettbewerb  schloss sich eine Ausstellung von Musterhäusern an, die Lösungen für das Bedürfnis der Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen nach einem eigenen Heim boten, das flexibel genug war, sich veränderten ökonomischen Bedingungen und dem ständigen Wandel in der Familienstruktur  anzupassen sowie zugleich mit minimalen Ressourcenaufwand auszukommen.

Die globale Krise der Finanzmärkte 2008 hatte international vergleichbare Auswirkungen: Der Kollaps der Immobilienbranche brachte viele überschuldete Hausbesitzer in eine ausweglose Lage. Erneut wurde die Fragilität einer auf Spekulation basierenden Stadtentwicklung deutlich. Zudem haben sich mit veränderten Mobilitätsoptionen und Flexibilitätsanforderungen die Wohnverhältnisse massiv verändert. Neue Kombinationen von Sesshaftigkeit und Mobilität, Migration und Wohnen sind zu beobachten, die mit veränderten Raumnutzungen und Raumansprüchen einhergehen.

Diese Entwicklungen kann man in Dessau gut besichtigen, der Bauhausstadt, die in den zwanziger Jahren ein Schauplatz innovativer Experimente des sozialen Wohnungsbaus war. Heute ist Dessau nicht nur von Abwanderung und Schrumpfung sowie dem damit verbundenen Wertverlust des Immobilienmarktes betroffen, sondern hat mit neuen national und transnational orientierten Institutionen auch eine mobile Bevölkerungsschicht, die zwischen den großen Zentren Berlin, Leipzig, Hamburg oder Frankfurt und der großen Kleinstadt hin- und herpendelt. Studenten, Akademiker, Hochschullehrer, Beamte, Kulturschaffende, Künstler, Asylsuchende, Arbeitsmigranten und Pendelarbeiter bestimmen eine größer werdende Zahl an Dessauern, die hier keinen festen Wohnsitz haben.

Die zweite internationale Sommerschule der Stiftung Bauhaus Dessau lud junge Studierende verschiedener Disziplinen zu einem Ideenwettbewerb vor Ort ein, in dem ausgehend von Martin Wagners "Wachsendem Haus" in vier Themenworkshops Fantasien für ein multilokales Wohnen in Dessau entworfen wurden: Gartenlaube XXL, Coach Surfing, Boarding homes und Internationale Platte.

Die Problemstellungen, Diskurse und Ideen des "wachsenden Hauses" wurden auf diese Weise im Kontext des Stadtumbaus der Bauhausstadt aktualisiert. Aus der Verbindung zwischen der Suche nach neuen Wohnformen als Katalysatoren eines veränderten Siedlungstyps, wie sie die Ausstellung 1932 zum Gegenstand hatte, lassen sich Kontinuitätslinien bis in die Gegenwart erkennen – schließlich zwingt der Wechsel zwischen Wachsen und Schrumpfen, Konjunktur und Krise, Bleiben und Gehen auch heute wieder zum Nachdenken über neue Siedlungstypen. Die Sommerschule verstand sich insofern auch als Beitrag zu Dessaus Stadtumbauprojekt, das den Versuch unternimmt, auf die veränderten/erweiterten Muster einer perforierten Stadtlandschaft zu reagieren.

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Das Bauhaus lebt!

Bericht der deutschen Welle

Workshops

Vier Themenstellungen wurden in den internationalen Teams bearbeitet:

G A R T E N L A U B E   X X L

Viele Dessauer arbeiten in der Schweiz, in Österreich oder Süddeutschland, haben aber noch starke familiäre Bindungen und Freundeskreise in der Stadt. Die Kleingärten sind exemplarischer Ort von Freizeit und Erholung. Während die Wohnungen meist zu klein sind, um die temporären Heimkehrer zu beherbergen, mit ihnen zu feiern und ihnen zeitweilig ein Zuhause zu bieten, haben die Lauben Platz zur temporären Erweiterung.
Teamleitung: Philipp Reinfeld

B O A R D I N G   H O M E S

Stadtbewohner und Wohnungsunternehmen werden zu Gastgebern, die Pendlern, Studenten oder Touristen zeitweiligen Aufenthalt bieten. Vor dem Hintergrund des Wohnungsleerstands sollen neue Modelle flexibler Bewirtschaftung und Nutzung von Wohnungen gemeinsam mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften erprobt werden.
Teamleitung: feld72

U N T E R W E G S   Z U   H A U S E

In Dessau stellte das Meisterhaus von Walter Gropius ein Modell vor, wie das moderne Wohnen im 20. Jahrhundert aussehen sollte, das vor allem durch Mobilität geprägt war. Vielfach medial verbreitet, hat das Bauhaus international die Vorstellungen von einer modernen Wohnkultur geprägt. Das Leben auf dem Sprung galt als modern, die Dingwelt hat das transportiert. Was braucht es, um sich irgendwo zu Hause zu fühlen und sei es nur zeitweilig? In einer Wohnberatung – ganz in der Tradition der Moderne –- werden Erfahrungen und Praktiken des "Sicheinrichtens" unterwegs zusammengetragen und in einer Musterwohnung präsentiert.
Teamleitung: MUF

G L O B A L   H O M E   P L A T T E

Dessau kann auf eine lange Kontinuität des industriellen Bauens in der Geschichte des Wohnungsbaus zurückblicken. Törten ist eines der ersten Beispiele der industriellen Vorfertigung von Wohnungsbauten und wie kaum eine andere Stadt hat die Platte die Stadtentwicklung Dessaus nach dem Krieg geprägt. Zugleich finden sich die  Wohnungsbautypen fast im gesamten Ostblock:  Standardisierte Grundrisse, die gleiche Wohnbedingungen für alle versprachen, ob in Budapest, Warschau oder Dessau. Seit dem Fall der Berliner Mauer hat sich die Reputation des Wohnens in der Platte dramatisch verändert: von einem modernen Privileg zu einem Symbol für Armut und Exklusion. Ausgehend von einer Platte am Leipziger Tor in Dessau untersucht der Workshop diese Transformation und wird mit BewohnerInnen Ideen für die Zukunft der Nachbarschaft entwickeln.
Teamleitung: Adam Page & Eva Hertzsch

Projektförderer

ZEIT Stiftung und IKEA Stiftung