In Erinnerung an Inge Mahn

Die Bildhauerin ist am 19. Juni 2023 verstorben. 2020 war sie Künstlerin des Bauhaus Residenz Programms.

Inge Mahn gehört zu den großen Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Eine solche Beschreibung wäre ihr nicht recht gewesen. Sie wandte sich in ihren Werken den vermeintlich kleinen, alltäglichen Dingen zu, nicht den großen. Sie war bescheiden, zugewandt und radikal. Der Habitus des großen Künstlers, wie ihn vor allem ihre männlichen Zeitgenossen pflegten, lag ihr fern. Doch wer einmal eine ihrer Arbeiten gesehen hat, wird sie nicht mehr vergessen. Und wer Inge Mahn selbst einmal begegnet ist, dem wird es auch nicht anders gehen. 

Wir hatten das große Glück, dass sie im Jahr 2020 als Residenzkünstlerin am Bauhaus Dessau eine Ausstellung für das Haus Gropius erarbeitet hat. Das schien überhaupt einer ihrer zentralen Begriffe, ihr Anliegen zu sein: arbeiten. Als sie in das Dessauer Meisterhaus kam, wollte sie vor allem dieses, mit ihren Materialien, mit dem Raum und gegen ihn, arbeiten. Das Haus Gropius löste in ihr Widerspruch aus: Das Rigide der Sichtbetonwände brach sie mit beinah tanzenden, wie in Schwingung versetzten MDF-Platten auf. 

Die MDF-Platten, voller Gipsspritzer und Arbeitsspuren, waren zunächst das Resultat der Produktionsstätte, die sie im Haus Gropius für zwei Wochen eingerichtet hatte. Sie hatte den Betonboden mit den Platten ausgelegt, auf denen sie mit ihrem bevorzugten Material Gips die 30 Türen herstellte, die sie in ihrem Meisterhaus voller Verwunderung zählte. 30 Türen in einem Haus! Ihre weißen Türen flohen in der finalen Installation mit dem Titel „Hausen“ das Haus Gropius in den Garten, als wollten sie davonlaufen. 

Dass die Gipstüren im Regen und durch herabfallende Äste unter den Bäumen beschädigt werden könnten, störte sie gar nicht. Sie hatte gleich einige Ersatztüren produziert, für den Fall der Fälle – der dann auch eintrat. Sie hatte diesen direkten, unprätentiösen, praktischen und praxisbezogenen Zugang zu ihrer eigenen Arbeit, der im musealisierten Weltkulturerbe des Dessauer Bauhauses besonders anregend und stark wirken musste. 

Während der Produktionszeit im Haus Gropius waren alle Besucher*innen der Meisterhäuser dazu eingeladen, Inge Mahn bei der Arbeit zuzusehen. Sie hatte nichts zu verbergen, in ihrer Generosität aber vieles zu geben – für das auch wir unglaublich dankbar sind: ihre Offenheit, sich auf das Vorgefundene einzulassen, ihr Verständnis für den Jüngeren, ihren Witz in Worten und im Leben, ihren Sinn für das Helle und das Dunkle. 

Zu einem Wiedersehen wird es nun leider nicht mehr kommen. Es bleiben, Dessauer Regen und Äste hin oder her, ihre unverwechselbaren Arbeiten und Erinnerungen an einen wunderbaren Menschen und eine große Künstlerin.

Florian Strob, 2018 – 2022 Leiter des Bauhaus Residenz Programms,
und das gesamte Team der Stiftung Bauhaus Dessau