Paradiese der Moderne – Eine Kulturgeschichte städtischen Vergnügens
Ausstellung zur Kulturgeschichte städtischen Vergnügens 2001, im Bauhaus Dessau

Achterbahn und Kino, Zoologischer Garten und Glasarchitektur, Fast Food und 24-Stunden-Städte: in ihrer Ausstellung „Paradiese der Moderne“ spürte die Stiftung Bauhaus Dessau ganz unterschiedlichen Orten städtischen Vergnügens nach und stellte sie in einen neuen Kontext. Die Ausstellung, die vom 22. Juni bis zum 14. Oktober 2001 im Bauhaus gezeigt wurde, gehörte zum Jahresschwerpunkt „Event City: Die Stadt in der Erlebnisgesellschaft“. Die gegenwärtige Vermarktung von Städten und Regionen mit spektakulären Inszenierungen von Geschichte und Kultur, der Umbau der Städte zum Erlebnisraum für Shopping, Unterhaltung und Event, ist der vorläufige Endpunkt einer Geschichte, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm.
In fünf Motiven wurde diese Geschichte dargestellt: Das erste, die Achterbahn, steht symbolisch für das Spannungsverhältnis zwischen Geschwindigkeit und Vergnügen. Der erste „Rollercoaster“, der 1895 in Coney Island, New York City, errichtet wurde, läutete eine radikale Veränderung der Wahrnehmung von Körper und Raum in der Moderne ein. "Wo Milch und Honig fließt" hiess das zweite Motiv. Es beschäftigte sich mit der Optimierung der Sättigung und den Erlebnissen zum Anbeißen, die den modernen Konsumenten Tag für Tag vor neue Entscheidungen über Konsum und Verzicht stellen. Moderne Oasen wollen die Verlusterfahrung von Natur durch ihre künstliche Wiederherstellung kompensieren: Botanische Gärten, Stadtparks und Zoos sind Beispiele, die ein Stück Lebensglück für den großstadtgeschädigten Menschen zu versprechen schienen. "Schöne Aussichten" thematisierten die Problematik der Darstellbarkeit einer Welt, in der Mobilität, Dynamik, Technik und Industrie tradierter Wahrnehmung die Grundlage entzogen. Für die klassischen Avantgarden eröffneten sich mit der Freiheit vom Abbildungszwang ungeahnte Perspektiven für die Erzeugung einer selbständigen künstlerischen Wirklichkeit. "Städte zwischen Himmel und Hölle" schließlich stellte die urbanen Paradiese vor, die als Traumstädte noch einmal ein in sich geschlossenes Bild moderner Gesellschaft entwerfen wollen.
Die Suche nach dem scheinbar verlorenen Paradies gewann mit der Expansion der Industrie und ihren Folgen für das Leben in den Großstädten ab Mitte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung. In einem atemberaubenden Tempo wurden die Metropolen zu Schauplätzen des permanenten Aufeinandertreffens von Ereignissen, Menschen, Dingen. Unübersichtlichkeit und Zufälligkeit lösten die alte Gewissheit, die Gestaltung der Zukunft aus dem Zustand der Gegenwart ableiten zu können, ab. So entstanden die modernen Paradiese an der Schnittstelle von Massenkultur und Urbanität, metropolitaner Entwicklung und Kulturindustrie. In der Vorstellungswelt der Moderne sind sie Sehnsuchtsmotive, Versuche der Konstruktion einer neuen Ganzheitlichkeit in einer aus den Fugen geratenden Welt, Trainingsplätze neuer Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen. Zugleich bringen sie ein vitales Weltverhältnis zum Ausdruck, in dem paradiesische Zustände real werden können.
Ca. 300 Fotografien, Gemälde, Architekturmodelle, Plakate, Filme und weitere Objekte wurden für die Ausstellung aus zahlreichen europäischen Museen zusammengetragen. Sie wurden so in Szene gesetzt, dass die Schau selbst zu einem Erfahrungsraum urbanen Vergnügens wurde und den Besucher dazu einlud, sich mit allen Sinnen auf das Thema einzulassen.
Das Bauhaus selbst, gläsernes Symbol für die Transformation der Kultur in der Moderne, bot den kongenialen Rahmen für das Projekt.
Denn während Werbung, Filme und Comics für Zerstreuung sorgen sollten und die neue „Unordnung“ der Gesellschaft unverhohlen vermittelten, stehen Weltausstellungen, Stadtutopien und Architekturvisionen für den Versuch, das unbeherrschte Durcheinander in eine Einheit zurückzuzwingen, eine „neue Ordnung“ zu erschaffen. Die Frage, ob die Umbruchsituation der modernen Gesellschaft eine Chance im Sinne neuer Offenheit bedeutete oder ob ein solcher Zustand unaushaltbar sei und schnellstmöglich geregelt werden müsse, hat nicht zuletzt am Bauhaus selbst vielfältige Widersprüche ausgelöst.
- Anlässlich der Ausstellung erschien im Campus Verlag Band 8 der Edition Bauhaus, „Urbane Paradiese“, mit Beiträgen u.a. von Christoph Asendorf, David Bell, Regina Bittner, Gernot Böhme, Ian Chambers und Georg Franck.